Heimkehr

Jetzt sitze ich hier schon am Flughafen Newark, und ich knapp zwei Stunden hebt mein Flieger Richtung Heimat wieder ab. Die letzte Klausur ist geschrieben, sämtliche Semesterprojekte abgeschlossen und bald darf ich mich auch offiziell Master of Arts nennen. Es war noch mal ein nervenaufreibender Endspurt letzte Woche. Lange Stunden im Büro über Latex und R-Code und lange Sitzungen mit meinen Projektpartnern über Powerpoint Folien, es war zum Ende hin fast nur noch eine Qual sich jeden Morgen wieder an die Uni zu schleppen, wohl wissend, dass man erst gegen zehn bis elf wieder seine Ruhe haben würde… ächz.

Aber das gehört nun alles der Vergangenheit an, und es ist Zeit, nach vorne zu blicken und einen Ausblick zu wagen, was denn die nächsten Wochen auf mich zukommen wird.  Zunächst geht es heute für gut eine Woche nach Deutschland, wo ich nach langen Monaten mal wieder Familie und Freunde wiedersehen will und nicht zuletzt zu diversen Festivitäten wie der Hochzeit einer Schulfreundin eingeladen bin (So langsam kommen wir auch in das Alter). Eine höchst aufregende Zeit mit vielen lang erwarteten Wiedersehen, auf die ich mich schon sehr freue. Leider verpasse ich dadurch meine morgige Graduationsfeier an der Uni in Binghamton, zu der ich aber wohl auch nicht gegangen wäre, wenn ich da geblieben wäre. Grund ist der stolze Kostenpunkt von angeblich gut 200 Dollar, die man wohl für die Teilnahme mal so eben berappen muss. Und das ist mir ein Foto in Robe und Doktorenhut wohl nicht wert. Außerdem werde ich die Gelegenheit nutzen eine erste Fuhre von meinem Krempel zurück nach Ulm zu schaffen und spare mir so das Porto für das sauteure Shipping (Gut das ist nur bedingt ein Argument, da das Ticket ja auch teuer ist. Aber so komme ich wenigstens gleichmit nach Deutschland.). Eine zweite Tasche steht noch bei Marion zuhause und wartet auf ein neues Abenteuer: Nach meiner Woche in heimischen Gefilden geht es erst mal für ein paar Tage direkt zurück nach Binghamton, wo ich noch mal endgültig zu allen Tschüss sagen und danach einen Flieger in Richtung Südamerika besteigen werde, genauer gesagt Richtung Ecuador. Dort werde ich als Belohnung für die lange Lernerei erst mal vier Wochen lang herumtraveln was das Zeug hält, mir die Sonne auf die bleiche Haut scheinen und es mir gut gehen lassen, was in diesem mir bisher noch komplett unbekannten Teil der Welt dem Hörensagen nach sehr einfach sein soll. Tropische Cocktails, leckeres Essen, schöne Natur, was will man mehr?

Im Anschluss daran wird es für mich noch ein letztes Mal zurück nach New York gehen. Dort treffe ich mich mit meiner Familie zu einem gemeinsamen Roadtrip an der Ostküste und durch die Neuenglandstaaten sowie einen guten Teil Kanadas. Zum Abschluss fliegen wir noch eine Woche gemeinsam nach Florida, bevor es Ende Juli schließlich endgütig wieder nach Hause geht. Ein ganz schönes Programm also, ich muss aber sagen, dass ich finde, dass ich es mir nach den anstrengenden letzten Monaten ein bisschen verdient habe. Work hard, play hard, oder wie sagt man?

Ein bisschen wehmütig war mir trotz aller Vorfreude jedoch schon zumute, wie ich ehrlich eingestehen muss. Ich habe in den letzten beiden Semestern viele neue Freunde und ein neues Zuhause gefunden, habe Spaß gehabt und bin auch durch harte Zeiten gegangen, und all das so plötzlich hinter sich zu lassen, und aus einer gewohnten und lieben Umgebung sich in neue Abenteuer zu stürzen, lässt vermutlich die meisten ein bisschen nostalgisch werden. Aber Facebook und anderer sozialer Medien sowie meiner umfassenden Dokumentation auch durch diesen Blog sei Dank werde ich immer viele tolle Erinnerungen behalten und auch lange im Kontakt mit meinen Freunden hier stehen. Außerdem komme ich ja Ende Mai noch mal für ein paar Tage zurück. Also lassen wir die Taschentücher erst mal noch in ihrer Packung, anstatt sie vollzuheulen.

Spring Break die Zweite

Während der Spring Break hatte ich neben einem Kurzbesuch in New York City noch die Gelegenheit, ein traditionelles Familienfest im Kreise einer Familie zu feiern: Und zwar hatte Alex mich eingeladen, die Feiertage bei ihm in Corning, etwa eine Autostunde westlich von Binghamton, zu verbringen. Und trotz der stressigen Lernerei nahm ich mir die Zeit, um einfach mal wieder etwas anderes als meine ewigen Bücher zu sehen. Dazu bekam ich noch die Gelegenheit, die amerikanische Tradition des Schusswaffengebrauchs mal ausführlich zu testen. Da Alex Großvater als Jäger ein ganz stolzes Arsenal besitzt, und zudem noch genug Grund und Boden, um mal ungestört rumballern zu können, stand dem eigentlich nichts im Wege. Also die Kugeln und Schießeisen eingepackt und los ging es. Natürlich hatte ich ordentlichen Respekt vor den Waffen, da jeder falsche Handgriff hier durchaus tödlich enden kann. Aber mit Alex als erfahrener Aufsichtsperson und unter seiner kundigen Anleitung verballerte ich doch das eine oder andere Magazin. Zudem bekamen wir noch spontane Gesellschaft durch einen ehemaligen Cop und berufsmäßigen Schießlehrer, der uns noch mal die Gelegenheit gab, aus einer echten Polizeiwaffe und einem Karabiner aus den 40ern zu feuern. Ordentlicher Bumms dahinter. Aber natürlich ist es auch wichtig nie zu vergessen, dass diese Geräte bisweilen nicht nur zur Jagd dienen, sondern auch Menschen ganz erheblichen Schaden zufügen, und deshalb mit entsprechender Vorsicht und Respekt behandelt werden sollten. Trotzdem eine echte „Murica“-Erfahrung.

Daneben nahm Alex mich während meines Besuchs noch zu ungefähr hundert verschiedenen Familienfeiern mit, wo ich tausend Leute am Tag kennen lernte, ständig neue Gesichter und Namen merken musste und mir zwar oft schon ein bisschen fehl am Platz vorkam, aber das ist schon ok. Schließlich lernte ich auch viele tolle Leute kennen, nicht zuletzte Alex Großeltern, bei denen wir wohnten. Diese sind sehr weit gereiste Leute (unter anderem auch in Deutschland und der DDR) mit eintausend Geschichten im Gepäck. Und nicht zuletzt gab es überall viel zu viel zu essen, da unterscheiden sich amerikanische Familienfeiern nicht signifikant von denen in Deutschland…

Und so verlebte ich ganz tolle Osterfeiertage, die mich die entnervende Lernerei für kurze Zeit vergessen ließen. Aber nur für ganz kurze Zeit.

Spring Break

Es wird Zeit, die letzten Wochen ein bisschen nachzuarbeiten. Neben der übermäßigen Lernerei gab es tatsächlich auch Momente, in denen ich mal was anderes als Bücher und Skripte zu sehen bekam. So war ich zum Beginn der Spring Break, also der Frühlingsferien, die Mitte April anstanden, direkt noch mal in New York City (das erste Mal dieses Jahr), Um mich mit meinem Kumpel Christian aus Ulm zu treffen. Dieser war zusammen mit Choriosity, einem Freizeitchor aus Ulm, der vor allem aus Studenten besteht, im Big Apple zu Besuch. Das geschah aus dem ehrenvollen Grund, dass sie ein Konzert in der berühmten Carnegie Hall geben wollten. Zu dieser Ehre waren sie scheinbar über eine Mischung aus Zufall und Beziehungen gekommen, so ganz genau habe ich es nicht verstanden. Zumindest war es eine perfekte Gelegenheit, um dieses ehrwürdige Bauwerk, das ich vorher nur dem Namen nach kannte, und das ich auf meinen letzten Besuchen stets nur von außen bestaunte, mal von innen zu sehen und gleichzeitig noch ein tolles Konzert zu sehen. Choriosity lieferte wirklich eine großartige Show, und zudem waren auch einige andere mehr oder weniger bekannte Künstler zugegen, sodass es eine ganze Konzert-Reihe wurde.  Auf jeden Fall eine unglaubliche Erfahrung in einem beeindruckenden Bauwerk amerikanischer Kulturgeschichte.

Natürlich konnte ich es nicht bleiben lassen, auch in diesen kurzen Tagen der Freiheit mein Lernzeug mitzunehmen, und so zog ich mich nach dem Konzert in den Central Park zurück und wiederholte ein bisschen Topologie. Christian war während dieser Zeit sowieso auf einer Aftershowparty unterwegs und hatte keine Zeit für mich. Ihn sah ich dann abends wieder, wo er mit ein paar Kollegen von seinem Chor auf ein Bier in das Nachtleben von Manhattan tauchte.

Am nächsten Tag trafen wir uns dann im Battery Park und fuhren mit der Fähre nach Staten Island rüber, einen Teil New Yorks, den ich bisher auch noch ausgelassen hatte, der sich aber durchaus lohnte. Bei strahlendem Wetter bot sich uns eine tolle Aussicht auf die Skyline von Manhattan und wir bekamen beide den ersten Sonnenbrand der Saison ab. Nachmittags machten wir dann noch ein bisschen die Stadt unsicher und fuhren abends mit ein paar von Christians Chorkollegen auf das Rockefeller Center hoch, um dort die atemberaubende Aussicht auf Manhattan im Sonnenuntergang zu bestaunen. Ein wirklich toller Abschluss für meinen kurzen New York Besuch! Denn abends ging es dann direkt mit dem Bus wieder zurück in den Ernst des Lebens…

 

Frühlingserwachen

Passend zu dem freudigen Ereignis meiner gesicherten Graduation kam auch irgendwann das richtige Wetter. Nach dem Schneesturm Mitte März hat es noch eine ganze Weile gedauert, das Wetter war sehr wechselhaft mit Temperaturstürzen von nicht selten über zwanzig Grad innerhalb weniger Stunden (kein Witz). Wagte man an einem Tag noch vorsichtig, den Wintermantel ein kleines Stückchen weiter nach hinten im Kleiderschrank zu schieben, weil es schon länger wärmer gewesen war, wurde man am nächsten Morgen schon wieder von Eissternen auf der Fensterscheibe und einer Schneeschicht im Vorgarten begrüßt und durfte ihn gleich wieder herausholen. Dieses ständige Auf und Ab konnte einem ganz schön auf die Nerven gehen, erst recht einem so empfindlichen Gemüt wie mir. Dafür war es schnell sehr früh schon hell, was zumindest mir immer hilft, fit zu werden. Der ganze Schnee schmolz zudem natürlich nicht spurlos hinweg, ein paar mal hatten wir tatsächlich Flutwarnungen, und der meinem Haus doch sehr nahe Flus stand zeitweise deutlich höher als sonst…

 

Seit ein paar Wochen ist dann doch noch der Frühling endgültig in Binghamton eingekehrt. Die meterhohen Schneemassen sind schon seit einer ganzen Weile weggeschmolzen, die Blümchen blühen, dass es eine Pracht ist, und ich laufe mittlerweile regelmäßig im T-Shirt draußen herum. Einfach herrlich, man hat gleich eine ganz andere Laune bei dem Wetter. Ich war schon mit der Outdoor-Truppe von meiner Uni auf einer Frühlingswanderung hier in der Nähe.

Weil die fröhliche Jahreszeit ja auch immer bedeutet, nach langen Monaten der Untätigkeit mal wieder rauszugehen und sich sportlich zu betätigen, um die Sommerfigur rechtzeitig zu erreichen, gab es vor einiger Zeit hier einen Health Fair. Dort präsentierten sich allerhand verschiedene Vereine der Uni, die irgendwie mit Gesundheit, Sport, Ernährung und so weiter im Zusammenhang stehen. Für mich war die Veranstaltung vor allem durch das umfangreiche Angebot an Gratisessen interessant 😛

Der Frühling hier in Binghamton ist zwar etwas plötzlich gekommen, aber dafür umso heftiger. Mittlerweile hat es schon weit über zwanzig Grad und die Sonne scheint dauerhaft, es ist schon beinahe wie im Sommer. Heute war ich mit Alex und seinem Kumpel Tom etwas (deutsches!) zu Abend essen und wir konnten tatsächlich schon draußen sitzen und uns die Moskitos um die Ohren schwirren lassen. Das hat sich doch schon so richtig wie Sommer angefühlt…

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Back from the Dead

Nach einer halben Ewigkeit gibt es mal wieder ein Update von mir. nein, ich bin nicht von irgendwelchen Schneemassen verschlungen worden oder sonst wie vorzeitig aus dem Leben geschieden. Es tut mir auch furchtbar leid, so eine lange Schreibpause eingelegt zu haben, man mag es mir nachsehen. Die Gründe waren vielfältig. Zum einen war ich seit Mitte März mit diverser (exorbitant intensiver) Unilernerei eingespannt, zum zweiten in der Weltgeschichte unterwegs und zum dritten durch die ersten beiden Faktoren auch ein bisschen zu faul für andere Dinge wie Bloggen. Asche auf mein Haupt. Doch der Reihe nach.

Kurz nach dem Einfall von Stella im März standen meine Midterms an, diesmal waren es zwei, die ich zu meistern hatte. Dadurch waren die schneereichen Wochen gar nicht mal so eine Katastrophe, da ich sowieso die meiste Zeit eingesperrt war und lernen musste. Immer positiv bleiben. Nach den Midterms kam ich direkt vom Regen in die Traufe, da ich mir so langsam ernste Gedanken um meine mündliche Abschlussprüfung machen musste, die man in Binghamton anstatt einer Masterarbeit zu absolvieren hat. Zwei Stunden, mit drei bis vier Professoren über sämtliche Fächer die ich in den letzten beiden Semestern gehört habe, sowie auch denjenigen, die ich aus Ulm anrechnen lasse (Kryptologie und Risikotheorie). Zum Glück hatte ich schon eine Vorstellung davon, bei wem ich die Prüfung machen wollte, und musste mir von den entsprechenden Leuten nur noch das ok holen, das ich auch problemlos bekam. Der Papierkram war auch verhältnismäßig schnell erledigt und somit konnte ich direkt den spaßigen Teil angehen: Die Vorbereitung. Üblicherweise bereiten sich die Binghamtoner Masterstudenten ein Semester lang fast ausschließlich auf diese eine mündliche Prüfung vor, zumindest dem Studienplan nach. Die meisten fangen zumindest deutlich früher mit dem Lernen an als ich, und zwar spätestens in den Winterferien. Da ich ja anstatt von zwei Jahren nur ein Jahr für meinen Master habe, wollte ich nicht direkt nach meiner Ankunft mit der Vorbereitung anfangen, wie denn auch, wo ich doch noch kaum eine Vorlesung, über die ich geprüft werden würde, überhaupt schon gehört habe.

Und so stand ich vor dem nicht geringen Aufwand, innerhalb von knapp einem Monat den Stoff von gut zweieinhalb Semestern in mich hineinzufressen. Dass das eine gewisse Strategie und Selektion des Stoffes erfordert, ist selbstverständlich. Und Gott sei Dank waren meine Professoren auch so verständnisvoll und hilfsbereit, mir gute Tipps zu geben, auf welche Themenbereiche ich mich denn besonders konzentrieren sollte und was denn so typische Fragen in einer mündlichen Prüfung sein könnten. Zum zweiten suchte ich mir Verbündete, mit denen man diese Aufgabe gemeinsam meistern könnte. Außer mir gab es natürlich noch eine Handvoll anderer Studenten, die sich einer mündlichen Prüfung stellen mussten, und einige von ihnen waren in genau den Fächern stark, in denen ich vom Verständnis hinterherhinkte. So konnten wir uns ein paar Mal zu mehrstündigen Nachhilfeexzessen verabreden, in denen wir meine Fragen durchgingen und in denen meine Lernkurve ganz besonders steil verlief.

Für einige Fächer (insbesondere in der Statistik, in der sich außer meiner Wenigkeit wohl kein Mathematiker in Binghamton zu vertiefen scheint) war ich jedoch auf mich allein gestellt, und schlug mir so manchen Tag bis spätabends in meinem Büro um die Ohren (Trotz Konzertveranstaltungen und Farbschlachten auf dem Campusgelände). Dass das auf Dauer an die Substanz und insbesondere die Nerven geht, ist selbstverständlich. Und so erwartete ich außer mit schrecklicher Nervosität auch mit ein wenig Erleichterung den 25. April, an dem ich meine Herausforderung zu meistern hatte. Man darf zudem nicht vergessen, dass ich neben der ganzen Lernerei quasi nebenbei noch ein Vollzeitsemester zu stemmen hatte, meine Hausaufgaben und Vorlesungen sowie meine Teaching Assistantship liefen natürlich alle ganz normal weiter. Zumindest hatte ich zwischendrin eine Woche Spring Break, aber dazu ein anderes Mal mehr.

Am Tag der Prüfung war ich verständlicherweise so nervös wie andere vielleicht vor ihrer Hinrichtung, ich konnte die Nacht davor nicht gut schlafen und mein Magen war wie zugeschnürt.  Am Ende verlief jedoch alles gut, meine Profs waren überaus nett und stellten sehr faire Fragen, wie ich zugeben muss. Die Atmosphäre war recht schnell entspannt und die Aufregung löste sich zum größten Teil auf. Alles in allem hat die ganze Lernerei sich ausgezahlt und aller Voraussicht nach darf ich mich in wenigen Wochen nach der Graduation schließlich mit dem ehrenvollen Titel „Master of Arts“ schmücken. Was für eine Freude (man sieht es mir direkt nach der Prüfung wohl an), die natürlich gebührend begossen wurde!

 

Stella

Langsam aber stetig grabe ich mich durch das kalte Nass zurück ans Licht. Um mich herum türmen sich die Berge nur so auf, alles ist in Weiß gehüllt und blendet mir in den Augen. Wo bin ich? Den Schneemassen nach zu urteilen entweder auf Hoth, dem Eisplaneten in Star Wars oder zumindest am Nordpol. Doch nein. Ein Blick auf Google Maps verrät mir jedoch: Falsch geraten. Ich bin nach wie vor in jener amerikanischen Kleinstadt, die ich seit gut sieben Monaten mein Zuhause nenne.

Doch wo kommt auf einmal der ganze Schnee her? War nicht vor ein paar Wochen noch ein beinahe frühlingshaftes Gefühl in der Luft, schien nicht die Sonne und keiner hat auch nur den kleinsten Fitzel Schnee irgendwo herumliegen sehen? Ja, so war es gewesen, und auf einmal sind wir in den tiefsten Winter hineinkatapultiert worden. So kann es gehen. Ich selbst habe es ja nicht geglaubt, oder vielleicht auch nicht glauben wollen, dass da ein Jahrhundertsturm auf die Nordostküste zusteuern sollte. Der Wintermantel war schon seit einer Weile im Schrank und Handschuhe und Mütze hatte ich, optimistisch und ignorant wie ich bin, schon lange im hintersten Winkel meines Zimmers verstaut. Ich war bereit für die lebendige Jahreszeit.

Doch es sollte anders kommen. Schon am Wochenende gingen Gerüchte um, dass am Dienstag die Uni ausfallen würde, von so vielen Seiten hörte man es, dass wohl etwas dran sein musste. Und als dann am Montagabend tatsächlich die Nachricht kam, dass am Dienstag die Uni komplett ausfallen würde, war ich auf der einen Seite natürlich nicht gerade unglücklich darüber (ausschlafen!), aber doch etwas verwirrt, da die allgemeine Wetterlage alles andere als nach Schneekatastrophe namens Stella aussah. Oh, wie sollte der Laienmeteorologe in mir sich täuschen…

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Als ich am Dienstagmorgen aufwachte und aus meinem Fenster sah, war da nur weiß. Überall, die Straße, Autos, Bäume, Rasen, jeder Quadratzentimeter war von einer weißen Schicht bedeckt, Und nicht nur das, die bereits sehr stattlichen Mützen, die sich auf Gartenmöbeln, Autodächern und Astgabeln gebildet hatten, ließen erahnen, dass die Schneedecke bereits knöcheltief sein musste. Und das in nicht einmal zehn Stunden. Und es sollte nicht aufhören, Den ganzen Tag bot der Blick nach draußen ein beeindruckendes Bild: Schnee, der in einer solchen Intensität und Beständigkeit herabkam, dass schon innerhalb kürzester Zeit das öffentliche Leben sprichwörtlich einfror, keine Straße wurde geräumt, kaum ein Geschäft hatte geöffnet, keine Autos auf der Straße. Das war durch einen ausgerufenen Travel Ban, der sämtliche nicht essentiellen Fahrten untersagte (man konnte tatsächlich mit Bußgeld belegt werden), verschuldet. Jedoch wäre wohl sowieso kaum einer ohne Schneemobil durch diese weiße Pracht auf den Straßen gekommen, die sich bis zum Abend weit mehr als einen halben Meter hoch türmte. Marion und ich hatten jeder bereits einmal den Fußweg zum Gehsteig geschippt (was mich dieses mal durch die schieren Schneemassen mehr Zeit gekostet hat als sonst der Gehsteig samt Autoauffahrt), und doch war er wieder beinahe unpassierbar.

Nichtsdestotrotz kämpfte ich mich abends durch das Gestöber zu Alex auf ein paar Bier mit ihm und seinen Mitbewohnern, wurde auf dem Weg fast von einem Schneepflug überfahren und musste an einer Ampel einen Konvoi Schneemobile Vorrang gewähren. Es war eine andere Welt als sonst. viele Autos waren gar nicht mehr zu erkennen unter den Schneebergen, und auf nicht notdürftig geräumten Wegabschnitten kam man sprichwörtlich nicht vorwärts und musste irgendwie außen herum waten. So etwas habe ich trotz einiger strenger Winter in Deutschland in der Form noch nicht erlebt. Dass einfach innerhalb von wenigen Stunden eine solche Menge an Schnee herabkommt, ist eher ungewöhnlich, und schließlich krönten Meteorologen Stella auch zu einem der schwersten Schneestürme, die Binghamton je heimgesucht hatten, gar als Nummer eins mit der größten Schneemenge innerhalb von vierundzwanzig Stunden seit Beginn der Aufzeichnungen.

So war es dann auch nicht groß überraschend, dass sämtliche Lehrveranstaltungen für Mittwoch ebenfalls abgesagt wurden und ein weiterer Tag unfreiwilliger Gefangenschaft ins Haus stand. Da hatte ich jedoch nicht sooo viel dagegen. Das Schneegestöber hatte zwar vorläufig ein Ende, jedoch dauerte es beinahe den ganzen Tag, bis die fleißigen Schneemobile der Stadtverwaltung auch in das hintere Ende der Chapin Street vorgestoßen kamen, und man sich somit wieder bewegen konnte.

Auf jeden Fall eine echte New Yorker Erfahrung die ich hier machen durfte. Ob ich sie noch mal brauche, weiß ich allerdings nicht so sicher… Vermutlich haben die meisten Leute es hier wesentlich gelassener genommen als ich.

 

Parade Day

Mein letzter Eintrag ist schon wieder eine Weile her. Die längere Schreibpause schiebe ich mal ganz keck auf den mittlerweile doch schon fortgeschrittenen Semesterstress, der in der letzten Woche meine volle Aufmerksamkeit forderte. Und um mal ehrlich zu sein. Allzu berichtenswert war in dieser Zeit auch kaum etwas, mein Alltag hier wurde schon in aller Ausführlichkeit geschildert.

Doch dieses Wochenende war mal ausnahmsweise unimäßig nichts und freizeitmäßig umso mehr los. Ein ganz besonderer Samstag stand in Binghamton auf dem Plan, so besonders, dass die Binghamton University ihn mit (inoffiziell) eigens gewidmeten Ferien geehrt hat. Der Parade Day, wie er genannt wird, hat seit Jahren im örtlichen Veranstaltungskalender einen festen Platz. In dieser Mischung aus Faschingsumzug un St. Patricks Day steht einen Tag lang die Stadt Kopf, wird der gesamte Innenstadtbereich für Fahrzeuge abgesperrt und ein jeder feiert den Tag mit viel Alkohol. Insbesondere anscheinend (und wahrscheinlich auch logischerweise) die Studenten. Deswegen hielt die Uni es für notwendig, in diesem Jahr eine so genannte Winter Break einzuführen, zusätzliche fünf Tage Ferien. Klingt an sich ja erst mal ziemlich gut, bekommt aber unter der Zusatzinfo, dass deswegen normalerweise wie zu anderen Ferien alle Wohnheime geschlossen werden und die dort wohnhaften Studenten sich für die Zeit eine andere Bleibe suchen müssen, ein ganz neues Gesicht. Allein dass es eine rechtmäßige Handhabe gibt, (horrende Summen) zahlende Mieter über die Ferien ohne triftigen Grund zwangsweise aus ihren Zimmern zu werfen, ist meiner Meinung nach schon die Höhe (aber hier anscheinend mittlerweile so normal, dass sich keiner mehr dran stört). Aber das unter pseudoerzieherischen Gesichtspunkten zu tun, um verantwortungslose Frühzwanziger vom Feiern gehen abzuhalten, ist an Lächerlichkeit kaum zu überbieten. Obwohl die verantwortlichen Stellen an der Uni das zwar offiziell als Grund für die Einführung der Winter Break bestritten haben, ist der „Zufall“ kaum zu übersehen. Man traut erwachsenen Studenten zu, ihre berufliche Zukunft in der Uni selbst zu gestalten und schämt sich nicht, ihnen dafür mehrere zehntausend Dollar pro Jahr abzuknöpfen, aber übermäßigen Alkoholkonsum muss man natürlich um jeden Preis zwanghaft unterbinden wie überstrenge Eltern. Da sind einige Prioritäten noch nicht so ganz angemessen austariert. Den erhobenen Zeigefinger in Form einer allgemeinen Mail an alle nicht vertriebenen Studenten konnten sie sich dann auch nicht mehr verkneifen.

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Aber was rege ich mich auf, dadurch dass ich in der Stadt wohne, bin ich immerhin nicht von dieser temporären Zwangsausweisung betroffen. Nicht nur das, ich konnte sogar meinen Haushalt vergrößern und kurzfristig Marius und Sabrina aus Syracuse übers Wochenende einladen, den Parade Day mit mir zu feiern. Am Samstagmorgen ging es dann auch gleich um elf Uhr los, bei Gautam trafen wir uns zum ersten Bierchen, dem bis zum Beginn der Parade um halb zwei noch ein paar folgen sollten. Diese war auch echt super, fast eine Stunde lang marschierten alle möglichen kostümierten Gruppen, meistens als irische Kobolde verkleidet, die Main Street hinab, dazu zahlreiche geschmückte Wägen und sonstige Gefährte, es war wirkliche in tolles Schauspiel. Das Wetter dazu war strahlender Sonnenschein, jedoch bei gut fünfzehn Grad unter null, sodass ein bisschen innere Wärme durch Alkohol ganz willkommen war. Und nach der Parade machten wir uns auch schnell daran, wieder in die wohlige Wärme von Gautams Haus zu flüchten. Dort hatten wir noch ein paar lustige Stunden bei einer Art nachmittäglichen Hausparty, bis es gegen Abend schon wieder Zeit wurde, Marius und Sabrina zum Bus Richtung Syracuse zu bringen. Ein kurzer, aber auf jeden Fall sehr witziger Besuch.

Zweites Semester

Mittlerweile bin ich voll im Alltag des Semesters angekommen. Die ersten Hausaufgaben sind schon eingereicht und benotet, ich habe mich an meinen neuen Stundenplan gewöhnt und nächste Woche steht schon das erste Midterm in meiner TA-Vorlesung an. Ich habe den Eindruck, dass die letzten paar Monate bis zum Mai schneller vorbeigehen werden als ich gucken kann.

In mancherlei Hinsicht ist das vielleicht sogar ganz wünschenswert, da hier in Binghamton seit letzter Woche der Winter so richtig zuschlägt. War es Ende Januar noch weitestgehend freundlich und zumindest moderat kalt, klettert das Thermometer mittlerweile nur noch selten über 0 Grad (meistens nicht einmal in die Nähe) und es schneit Tag um Tag. Richtig ungemütlich. Da kann ich echt froh sein, dass mein Kumpel Alex mich jeden fast immer mit dem Auto abholt und mit zur Uni nimmt, sodass ich nur im Ausnahmefall auf den Bus angewiesen bin. Der fährt natürlich seit diesem Semester eine neue Strecke und ich muss somit doppelt so weit zur nächsten Haltestelle laufen … Manchmal vermisse ich mein Fahrrad ein bisschen. Hin und wieder kommt jedoch auch die Sonne durch und ich versuche diese Momente so intensiv wie möglich zu genießen. Die nebelgeplagten Ulmer wissen wovon ich rede.

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Super Bowl

Schon vor einer knappen Woche erreichte die Sportsaison in den Staaten ihre Höhepunkt: Der Super Bowl stand an, das Endspiel der National Football League und die letzte Endscheidungsschlacht im Kampf um die begehrte Trophäe. Dieses Jahr standen sich im texanischen Houston die New England Patriots aus Foxborough bei Boston und die Atlanta Falcons gegenüber. Die Patriots waren als mehrmalige Sieger der klare Favorit gegenüber den Falcons, jedoch hatte dieser Umstand wohl in der Vergangenheit längst nicht immer den Sieger vorhergesagt.

Ich sah mir das Spiel zusammen mit Alex in der Colonial Bar im Downtown Binghamton an, bei ein paar Bier un den obligatorischen Chicken Wings bekam ich ein Stück amerikanisches Lebensgefühl hautnah mit. Der Liebling der Footballfans von Binghamton waren die Falcons, aber eher aufgrund des Umstandes dass die Patriots hier wohl nicht sehr beliebt sind und alle sie deswegen verlieren sehen wollten. Hier herrschen wohl ähnliche lokale Feindschaften wie zwischen den Fußballvereinen in Deutschland (BVB und Schalke etwa). Das konnte mir ja herzlich egal sein, wie schon in Deutschland muss ich sagen, dass ich diesen Hype um ein Sportereignis nie so recht nachvollziehen konnte. Zum Glück waren die Leute im Colonial nicht ganz so passioniert dabei, da ja auch nicht ihr Team spielte. In Atlanta und Boston dürfte es wohl ein bisschen zugegangen sein wie bei uns zum Fußball WM Endspiel.

Das war mir auch ganz recht, so konnte ich als absolut Ahnungsloser wenigstens einigermaßen dem Spielverlauf folgen, oder zumindest so tun, als könnte ich es. Die Regeln sind an sich wohl nicht so kompliziert, aber die dauernden Unterbrechungen dehnen die eigentlich nur 60 Minuten Spielzeit ganz schön und machen es einem nicht einfach, dem Geschehen zu folgen. Allerdings bekam sogar ich mit, dass das Spiel zum Ende hin ganz schön spannend wurde: Eigentlich lagen die Falcons den größten Teil des Spiels ganz klar vorn, nach dem dritten Viertel mit 28:9, jedoch eliminierten die Patriots in einer grandiosen Aufholjagd während des letzten Viertels diesen Vorsprung, sodass es zum ersten mal in der Geschichte des Super Bowl zu einer Verlängerung kam. In diesem dominierten die Patriots schließlich klar und holten sich mit einem Endstand von 28:34 zum fünften mal in ihrer Geschichte die Trophäe. Ob es verdient war, vermag ich nicht zu urteilen, auf jeden Fall hatte ich ziemliches Glück, bei meinem ersten vollen Super Bowl gleich einen der außergewöhnlichsten überhaupt zu sehen.

Übrigens: Die vielgerühmten (und mit fünf Millionen Dollar pro 30 Sekunden sauteuren) Werbeblöcke während der Halbzeitpause sind übrigens wirklich sehenswert. Auch die Halbzeitshow von Lady Gaga war ganz cool und so lohnte sich dieser Super Bowl auch für die Leute, die eigentlich kein Interesse an Football haben.

Back in Binghamton

Seit zwei Wochen hat mich nun die Uni wieder. Ich muss aber sagen, dass es nach der ganzen Reiserei auch mal wieder schön ist, an einem vertrauten Ort zu sein und einen einigermaßen geregelten Alltag zu haben. In ein paar Wochen rede ich vermutlich schon wieder ganz anders daher…

Dieses Semester unterscheidet sich von der Organisation her nicht wirklich vom letzten: Ich höre wieder drei Kurse, diesmal „Algebra 1“, „Applied Multivariate Analysis“ und „Nonparametric Smoothing and Semiparametric Regression“ (Puh, was für ein Titel). Zudem besuche ich eine weitere Vorlesung, „Bayesian Analysis“, als Sit-In, das heißt ich bin zwar in der Vorlesung, aber mache keine Hausaufgaben, schreibe keine Klausur und bekomme dafür auch keine Credits. Vielleicht gesellt sich dazu noch eine zweite, „Introduction to Machine Learning“, aber nur wenn ich die Zeit habe. Im Gegensatz zu Ulm muss man hier leider bis Ende der zweiten Woche wissen (also letzten Freitag), welche Veranstaltungen man endgültig durchziehen möchte, sonst hätte ich mich wohl später entschieden.

Auch meine Teaching Assistantship ist wieder dieselbe (selbe Vorlesung, selbe Professorin), was den riesen Vorteil hat, dass ich weiß was gespielt wird, und dementsprechend weniger Zeit in Vorbereitung investieren muss. Die ersten beiden Tutorien wurden schon gehalten und meine Studenten sind bisher mal ganz in Ordnung, mal schauen, ob dieser positive erste Eindruck sich durchsetzt. ich bin aber mal ganz zuversichtlich.

Doch auch das Spring Semester besteht in Binghamton nicht nur aus Vorlesungen. Weil ich die vergleichsweise ruhigen ersten Tage des Semesters und das wirklich unglaublich gute Wetter bisher (teilweise über zehn Grad plus im Januar(!)) nutzen wollte, habe ich direkt am ersten Wochenende nach meiner Rückkehr nach Binghamton eine Wanderung im Cannonsville Reservoir eine knappe Autostunde östlich von hier gemacht. Ziel war der Fire Tower, der dort als Zufluchtsort vor Waldbränden auf einer Bergspitze errichtet worden ist. Der Name Cannonsville ist eigentlich einer der Orte, die für das Reservoir am Fuße dieses Berges geflutet wurden. Mit dem Outdoorclub, der den Trip organisiert hat, habe ich schon im Herbst ein paar Unternehmungen gemacht, die eigentlich immer ganz spaßig waren. Auch diesmal war eine nette Truppe beisammen, und bei frühlingshaftem Wetter und im T-Shirt zeigten wir dem Winter die lange Nase. Dass wir auf dieser ursprünglich als Schneeschuhwanderung geplanten Tour Eisaufsätze für unsere Schuhe mitgenommen hatten, erwies sich als vollkommen überflüssig.

Mittlerweile ist dieser Hauch von Frühling jedoch verflogen wie eine Schneeflocke im Wind, und die Eiseskälte und Schneemassen, die in diesen Breiten sonst im Januar üblich sind, haben uns wieder fest im Griff. Jedoch will ich nach all dem Glück, das ich mit dem Wetter hier bisher hatte, vor allem auf meinen Reisen, nun wirklich nicht meckern. Und so schlüpfe ich brav in meine Stiefel und werfe mir den dicken Mantel über, und kämpfe mich jeden Morgen pflichtbewusst durch dieses Winterwunderland, auf dem Weg in einen neuen Tag.