Stella

Langsam aber stetig grabe ich mich durch das kalte Nass zurück ans Licht. Um mich herum türmen sich die Berge nur so auf, alles ist in Weiß gehüllt und blendet mir in den Augen. Wo bin ich? Den Schneemassen nach zu urteilen entweder auf Hoth, dem Eisplaneten in Star Wars oder zumindest am Nordpol. Doch nein. Ein Blick auf Google Maps verrät mir jedoch: Falsch geraten. Ich bin nach wie vor in jener amerikanischen Kleinstadt, die ich seit gut sieben Monaten mein Zuhause nenne.

Doch wo kommt auf einmal der ganze Schnee her? War nicht vor ein paar Wochen noch ein beinahe frühlingshaftes Gefühl in der Luft, schien nicht die Sonne und keiner hat auch nur den kleinsten Fitzel Schnee irgendwo herumliegen sehen? Ja, so war es gewesen, und auf einmal sind wir in den tiefsten Winter hineinkatapultiert worden. So kann es gehen. Ich selbst habe es ja nicht geglaubt, oder vielleicht auch nicht glauben wollen, dass da ein Jahrhundertsturm auf die Nordostküste zusteuern sollte. Der Wintermantel war schon seit einer Weile im Schrank und Handschuhe und Mütze hatte ich, optimistisch und ignorant wie ich bin, schon lange im hintersten Winkel meines Zimmers verstaut. Ich war bereit für die lebendige Jahreszeit.

Doch es sollte anders kommen. Schon am Wochenende gingen Gerüchte um, dass am Dienstag die Uni ausfallen würde, von so vielen Seiten hörte man es, dass wohl etwas dran sein musste. Und als dann am Montagabend tatsächlich die Nachricht kam, dass am Dienstag die Uni komplett ausfallen würde, war ich auf der einen Seite natürlich nicht gerade unglücklich darüber (ausschlafen!), aber doch etwas verwirrt, da die allgemeine Wetterlage alles andere als nach Schneekatastrophe namens Stella aussah. Oh, wie sollte der Laienmeteorologe in mir sich täuschen…

snowday

Als ich am Dienstagmorgen aufwachte und aus meinem Fenster sah, war da nur weiß. Überall, die Straße, Autos, Bäume, Rasen, jeder Quadratzentimeter war von einer weißen Schicht bedeckt, Und nicht nur das, die bereits sehr stattlichen Mützen, die sich auf Gartenmöbeln, Autodächern und Astgabeln gebildet hatten, ließen erahnen, dass die Schneedecke bereits knöcheltief sein musste. Und das in nicht einmal zehn Stunden. Und es sollte nicht aufhören, Den ganzen Tag bot der Blick nach draußen ein beeindruckendes Bild: Schnee, der in einer solchen Intensität und Beständigkeit herabkam, dass schon innerhalb kürzester Zeit das öffentliche Leben sprichwörtlich einfror, keine Straße wurde geräumt, kaum ein Geschäft hatte geöffnet, keine Autos auf der Straße. Das war durch einen ausgerufenen Travel Ban, der sämtliche nicht essentiellen Fahrten untersagte (man konnte tatsächlich mit Bußgeld belegt werden), verschuldet. Jedoch wäre wohl sowieso kaum einer ohne Schneemobil durch diese weiße Pracht auf den Straßen gekommen, die sich bis zum Abend weit mehr als einen halben Meter hoch türmte. Marion und ich hatten jeder bereits einmal den Fußweg zum Gehsteig geschippt (was mich dieses mal durch die schieren Schneemassen mehr Zeit gekostet hat als sonst der Gehsteig samt Autoauffahrt), und doch war er wieder beinahe unpassierbar.

Nichtsdestotrotz kämpfte ich mich abends durch das Gestöber zu Alex auf ein paar Bier mit ihm und seinen Mitbewohnern, wurde auf dem Weg fast von einem Schneepflug überfahren und musste an einer Ampel einen Konvoi Schneemobile Vorrang gewähren. Es war eine andere Welt als sonst. viele Autos waren gar nicht mehr zu erkennen unter den Schneebergen, und auf nicht notdürftig geräumten Wegabschnitten kam man sprichwörtlich nicht vorwärts und musste irgendwie außen herum waten. So etwas habe ich trotz einiger strenger Winter in Deutschland in der Form noch nicht erlebt. Dass einfach innerhalb von wenigen Stunden eine solche Menge an Schnee herabkommt, ist eher ungewöhnlich, und schließlich krönten Meteorologen Stella auch zu einem der schwersten Schneestürme, die Binghamton je heimgesucht hatten, gar als Nummer eins mit der größten Schneemenge innerhalb von vierundzwanzig Stunden seit Beginn der Aufzeichnungen.

So war es dann auch nicht groß überraschend, dass sämtliche Lehrveranstaltungen für Mittwoch ebenfalls abgesagt wurden und ein weiterer Tag unfreiwilliger Gefangenschaft ins Haus stand. Da hatte ich jedoch nicht sooo viel dagegen. Das Schneegestöber hatte zwar vorläufig ein Ende, jedoch dauerte es beinahe den ganzen Tag, bis die fleißigen Schneemobile der Stadtverwaltung auch in das hintere Ende der Chapin Street vorgestoßen kamen, und man sich somit wieder bewegen konnte.

Auf jeden Fall eine echte New Yorker Erfahrung die ich hier machen durfte. Ob ich sie noch mal brauche, weiß ich allerdings nicht so sicher… Vermutlich haben die meisten Leute es hier wesentlich gelassener genommen als ich.

 

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